Eins vorweg: Ich bin über jeden Roman, den ich schreibe, überrascht.
Überrascht deswegen, weil ich eine Geschichte selten komplett im Kopf habe, wenn ich anfange, zu schreiben. Das mag vielen eigenartig vorkommen, ist aber die Wahrheit.
Wenn ich schreibe, achte ich darauf, nicht zu viel nachzudenken. Vielmehr versuche ich, zuzuhören und darauf zu vertrauen, dass die Geschichte sich schon irgendwie von selbst erzählt. Und das tut sie meistens auch, denn der kreative Prozess verläuft ja selten linear. Vor allem lässt er sich nicht an- und ausknipsen wie eine Lampe.
Mit dem Schreiben (so erzähle ich es jedenfalls meinen Studierenden immer wieder), verhält es sich ähnlich wie mit einer Nachtwanderung bei Neumond und Nebel. Man muss lernen, im Dunkeln zu navigieren.
Vor einigen Jahren erzählte mir mal ein ehemaliger Soldat der isralischen Fallschirmspringerdivision, wie man in der Armee lernt, im Dunkeln zu sehen: Wenn man in der Dunkelheit etwas erkennen möchte, sollte man das Objekt nicht direkt anvisieren, sondern aus den Augenwinkeln betrachten. Dann erkennt man die Umrisse schärfer. Man nennt diesen Vorgang übrigens peripheres Sehen.
Schreiben ist dagegen wie „peripheres Fühlen“ – man richtet seine inneren Antennen auf etwas Anderes und betrachtet die Geschichte gewissermaßen aus einem peripheren Blickwinkel.
In dem Moment, in dem ich versuche, eine Szene absichtsvoll und durch Nachdenken zu konstruieren, klingt alles absurd, hölzern und so unangenehm, dass ich mir selbst peinlich bin.
Dagegen entstehen die besten Szenen immer dann, wenn ich mich nicht bewusst auf den Plot konzentriere, sondern etwas ganz Anderes mache. Auf der A8 im Baustellenstau stehen, beispielsweise. Oder Staubsaugen. Oder Joggen.
Überhaupt, Joggen: Die ersten 10 Minuten fühlen sich an wie die Hölle und man fragt sich, warum man diese Quälerei jedes Mal auf sich nimmt. Nach 30 Minuten fühlt es sich immer noch fies an, aber man hat wenigstens seinen Rhythmus gefunden und außerdem ist die Playlist ja auch ganz gut. Wenn dann, selten genug, das Runner’s High einsetzt, stellt man fest, dass es nichts Besseres gibt und man überlegt sich, ob man nicht (jetzt wo man schon mal dabei ist), auch gleich durch den ganzen Staat Alabama laufen sollte.
Mit dem Schreiben ist es genauso.
Schreiben fühlt sich für mich an, wie eine Notwendigkeit. Auch das mag überraschen, klingt es doch so unromantisch und profan wie das tägliche Zähneputzen.
Wenn ich sage, dass Schreiben für mich eine Notwendigkeit ist, dann meine ich damit, dass ich das Schreiben für mein persönliches Wohlbefinden brauche. Ich kann mich selbst nur schreibend begreifen. Und ich kann mich nur schreibend selbst zum Ausdruck bringen. Wenn dabei ein gutes Buch heraus kommt, freut mich das. Über alle Maßen sogar. Aber es ist nicht das primäre Ziel meines Schreibens, ein Buch zu produzieren. (Vielleicht rede ich mir das auch nur ein, um den Druck heraus zu nehmen; Schreibende leiden nämlich notorisch an Perfektionismus und anderen Komplexen, aber das wisst ihr nicht von mir.)
Trotzdem bleibt es nicht aus, dass Schreiben Arbeit ist und bestimmte Techniken verlangt. Bei meinem ersten (unveröffentlichten) Roman, hangelte ich mich von Szene zu Szene ohne genau zu wissen, was ich tue. In meinen nächsten Texten hatte ich dann schon mehr Erfahrung und stümperte nicht mehr ganz so sehr herum. Ich hatte Konzepte wie die Heldenreise kennengelernt und konnte Techniken wie das Clustern einsetzen. Vor allem aber begriff ich endlich, dass ich nicht im ersten Entwurf druckreife Seiten produzieren muss.
Der eigentliche Schreibprozess besteht nämlich nicht nur aus dem Schreiben an sich, sondern zu fast gleichen Teilen aus: Recherchieren, Nachdenken, Meditieren ( = aus dem Fenster schauen), Tippen, das Getippte löschen und noch mehr Tippen. Dann überarbeitet man.
Wenn mich also Leute fragen, ob man das Schreiben lernen kann, dann sage ich nein.
Man kann alles über das Schreiben und seine Techniken lernen (und ich bring’s euch auch gerne bei!), aber Schreiben lernt man nicht. Das lebt man.