Ist das krass, oder? Jetzt steht nicht nur ein neues Jahr vor der Tür, sondern gleich die ganze 10er Packung. Ich persönlich finde den Jahreswechsel immer eine irgendwie schwierige Zeit, weil man fast schon gruppenzwänglerisch animiert wird, Rückschau zu halten. Gleichzeitig ist so eine Rückschau auch immer ganz gut, um sich selbst und die Welt in der wir leben, zu reflektieren.
Für mich war 2019 eines der intensivsten Jahre meines Lebens, denn seinen Debütroman zu veröffentlichen ist eben ein ziemlich bewegendes und aufregendes Erlebnis.
Zu der Gnade, die mir dabei zuteil wurde, gehört auch, dass ich auf Lesungen, in Interviews und auf Reisen viele interessante und inspirierende Menschen getroffen habe, die sich mit mir nicht nur über mein Buch unterhalten, sondern auch ihre Gedanken mit mir geteilt haben.
Und immer wieder fiel der Satz: Ja, es sind die kleinen Dinge, die in der Welt etwas bewegen.
In meinem Roman „Am Boden des Himmels“ geht es ja viel um die kleinen Dinge, die kleinen Wunder, die unscheinbaren Veränderungen, die Steine ins Rollen bringen.

Die Zehnerjahre waren das Jahrzehnt in dem die digitale Welt der realen Welt irgendwie den Rang abgelaufen hat. Es war das Jahrzehnt, in dem soziale Netzwerke groß wurden und irgendwann zu groß. Es war das Jahrzehnt von Facebookfreundschaften und Filterblasen und vor allem ein Jahrzehnt großer Gegensätze und Extreme. Auf der einen Seite und in der ersten Hälfte Arabischer Frühling und friedliche Revolutionen – auf der anderen Seite Bürgerkrieg und Genozide. Auf der einen Seite ein Zusammenwachsen, ein Sich-Vernetzen, ein globaler Austausch in Initiativen wie „The Peace Factory“ – auf der anderen Seite Separatismus, Nationalismus, Rassismus, Brexit, AfD, „America First“ und Björn (Bernd?) Faschist Höcke. Auf der einen Seite ein wachsendes Umweltbewusstsein und Fridays for Future, auf der anderen Seite ein ums zigfache gestiegener Plastikverbrauch, Klimawandelleugner und der brasilianische Präsident Bolsonaro. Einerseits verfügen seit 2010 weltweit mehr Menschen über höhere Schulbildung als jemals zuvor, andererseits existieren Menschen wie Donald Trump.

Joana Osman, TEDx Hamburg, 23.09.2019 Copyright: Joana Osman

Immer wenn ich, am Rande meiner Lesungen, mit Menschen ins Gespräch kam, ging es irgendwann um diese Themen: Wie können wir, als Einzelne, etwas in dieser Welt bewirken, wenn doch die Welt da draußen immer demagogischer, bösartiger und schlechter wird?
Die Antwort, die ich nicht nur gebe, um mich in meiner eigenen „political anxiety“ zu trösten, ist simpel:
Die Welt können wir nicht ändern, aber uns selbst.
Oder, um es mit Michelle Obamas Worten (anlässlich Trumps Wahl zum US-Präsidenten) zu sagen: „When they go low, we go high“ – wenn die anderen das Niveau senken, dann erheben wir es.
Wenn die Demagogen, Rassisten und Faschisten es sich zum Ziel gesetzt haben, uns zu spalten, dann sind wir der Kitt, der alles zusammenhält.
Wie leicht wäre es, in Frustration oder gar Apathie zu verfallen, angesichts des Zustandes, in dem sich die Welt befindet? Wie leicht wäre es, zynisch, hart und egoistisch zu werden, wo doch gefühlt die ganze Welt so ist?
Wie verführerisch wäre es, einfach so weiter zu machen wie bisher?
Aber am Ende haben wir es doch in der Hand. Jetzt, gerade jetzt, sollten wir offen sein, weich sein, noch empathischer und noch freundlicher als jemals zuvor. Jetzt, gerade jetzt, sollten wir noch mehr lächeln, uns noch mehr umeinander und um den Planeten kümmern, noch achtsamer und noch liebevoller zueinander und zur Umwelt sein. Denn nichts ärgert die Hater mehr als eine Masse von Menschen die nett ist.

In ‚Am Boden des Himmels‘ habe ich geschrieben: „Frieden ist nicht das, was passiert, wenn ein Krieg zu Ende geht. Frieden ist ein geistiger Zustand.“
Die Welt liegt buchstäblich in unseren Händen. Überlassen wir sie nicht den Spaltern.
Auf dass die Roaring Twenties ein Jahrzehnt von Freundlichkeit werden.

Einen guten Rutsch euch allen!

Joana Osman, Dezember 2019